Das Ego des Erleuchteten

Wie alle Menschen haben auch erleuchtete ein Ego. Glaube also nicht die Geschichten, die vorzugsweise indischen Ursprungs sind, man könne und müsse sich von jeglichem Ego befreien. Das mündet bestenfalls in die absolute Opferhaltung. Auch Erleuchtete benutzen dieses Vehikel Namens Ego, um zu reisen und Erfahrungen zu machen. Allerdings hat das Ego eines Erleuchteten eine ganz andere Bedeutung und einen ganz anderen Stellenwert als das aller anderen Menschen.

Zur Erinnerung, ein Ego ist eine Identität. Der Mensch glaubt, er sei diese Identität und nur dieses. Das ist das Problem. Auch die Seele hat eine Identität. Jede Seele ist einzigartig, es gibt keine zwei gleichen Seelen. Freilich wurden die Seelen vom Urbewusstsein erschaffen und haben somit dieselben Grundeigenschaften und dieselben Fähigkeiten, nämlich die des Urbewusstseins. Aber jede ist anders, ebenso wie die Kinder derselben Eltern. Die ganze Schöpfung hätte ja überhaupt keinen Sinn, wenn das Urbewusstsein lauter gleiche Wesen erschaffen hätte.

Jede Seele hat in der Leere erkannt, dass sie ist, dass sie existiert. Damit wurde sie sich ihrer selbst bewusst, und dieses Bewusstsein ist singulär, also einzigartig. Die Seele glaubt also nicht, sie wäre besser oder schlechter als andere Seelen, sie weiß zunächst lediglich, dass sie einzigartig ist. Und sie hat gelernt, mit unterschiedlichen Identitäten, also unterschiedlichen Egos, unterschiedliche Erfahrungen zu machen. Du siehst die Einzigartigkeit der Seelen sehr schön, wenn du dir viele Channelings von vielen verschiedenen Wesen anhörst oder sie liest. Wie bunt dieser Garten ist! Wenn du schon einige Zeit erleuchtet bist, merkst du auch gleich, ob die jeweilige Seele erleuchtet ist oder nicht. Dieser Unterschied ist genauso deutlich wie der zwischen erleuchteten und nicht erleuchteten Menschen.


In der Erleuchtung erkennt ein Mensch, wer er wirklich ist. Er erkennt, dass er die Seele ist, die mittels ihres Menschen irdische Erfahrungen macht. Er erkennt, dass er nicht bloß dieser durch zahllose Glaubenssysteme begrenzte Mensch ist. Er hat nun erstmals wirklich die Perspektive der Seele, von der aus alles von Grund auf anders aussieht. Von dieser göttlichen Perspektive sieht der ganze Mensch, und damit natürlich auch sein Ego, ganz anders aus. Das menschliche Ego verliert seine große Bedeutung und bekommt nach und nach seine wirkliche Bedeutung, nämlich die des Vehikels, das dazu dient, beliebige Erfahrungen zu machen.

Der Vollständigkeit halber möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass all das nicht sofort geschieht. Die Erleuchtung ist die Erkenntnis der wahren Identität. Nach dieser Großen Erkenntnis kommen viele, viele weitere Erkenntnisse, die zeigen, was die Erleuchtung bedeutet und mit sich bringt. Wie zB die Bedeutung des menschlichen Egos, das im Moment der Erleuchtung gar keine Rolle spielt. Ich habe zwei Jahre nach meiner Erleuchtung ungleich mehr gesehen als bei der Erleuchtung, und ungleich weniger als heute. Ich sage das vor allem im Hinblick auf die Menschen, deren Erleuchtung noch nicht allzu lang zuückliegt.

Der Stellenwert des Egos ist jetzt also ein ganz anderer. Das Ego des Erleuchteten dient nun nicht mehr dazu, sich groß zu machen und sich über andere zu stellen. Es muss sich auch nicht mehr nähren. Es muss nicht vorgeben, weiß Gott was alles zu wissen. Vielmehr weiß der Erleuchtete, dass sein Ego herzlich wenig weiß. Also wirklich wenig. Und das meiste von diesem Wissen ist bloß Illusion. Der Erleuchtete hat nun Zugriff auf die Weisheit der Seele, also auf das wirkliche Wissen. Im Vergleich dazu schrumpft das vermeintliche Wissen des Egos zur Bedeutungslosigkeit. Das Ego des Erleuchteten vergleicht sich nicht mit anderen und braucht keine Vergangenheit, weil der Mensch keine Vergangenheit mehr braucht. Das Ego kann jederzeit mühelos sterben und durch ein anderes ersetzt werden.

Ein wesentlicher Punkt im Wachsen des jung Erleuchteten ist das Erkennen der eigenen Größe. Damit meine ich natürlich die wahre Größe, also die Seele, die im Vergleich zur kleinen Begrenztheit des Menschen geradezu gewaltig ist. Diese wahre Größe ist ganz einfach, sie muss sich nicht beweisen und nicht hervor stellen. Nun, das Erkennen dieser Größe ist ja ziemlich einfach, es passiert ganz einfach. Der schwierige Punkt ist das Annehmen dieser Größe.

Bei diesem Prozess des Annehmens der eigenen Größe ist der Mensch konfrontiert mit den Glaubenssystemen der Gesellschaft bezüglich Egoismus, Kleinheit, Größe, Wissen, Anpassung uvm. Zunächst kämpft der Mensch in sich selbst, weil diese Glaubenssysteme in ihm drin sind. Als nächstes muss er sich in der Welt behaupten. Ich weiß nicht, was von beiden schwieriger ist. Wenn der Erleuchtete ganz selbstverständlich aus seiner Weisheit heraus spricht, wird er von anderen gleich zurückgepfiffen. Er wird als egoistisch, überheblich und arrogant bezeichnet. Was er natürlich nicht einmal ansatzweise ist. In Wahrheit ist sein Ego in diesem natürlichen Selbstausdruck gerade ziemlich klein und bedeutungslos.

Dieser Beitrag, den ich vor zwölf Jahren geschrieben habe, markierte für mich den Punkt, an dem ich den Mut hatte, meine natürliche Größe voll anzunehmen und damit mein Ego schmelzen zu lassen. Wenige Tage zuvor hatte dieser Beitrag diese Entwicklung eingeleitet. (Beide Beiträge sind auch unten verlinkt, weil sie dazu gehören.) Ich habe also damals erkannt, dass die wahre, eigene Größe das menschliche Ego kleiner werden lässt, nicht größer, wie das viele Erwachende befürchten. Vor einigen Wochen hatte ich ein Gespräch mit Verena, in dem sie mir dieselbe Erkenntnis offenbarte.

Das ist sehr interessant, denn schlafende Menschen und die Superegos, von denen ich im letzten Blogeintrag geschrieben habe, verstehen das nicht ansatzweise und halten ständig Birnen für Zwetschken. Natürlich, sie sind ja nicht erleuchtet und sehen nur ihr Ego. Wenn ich mit einem spirituellen Ego vor einem schönen, großen Baum stehe und davon schwärme, wie schön dieser Baum ist, sagt das spirituelle Ego: „Von welchem Baum sprichst du? Da ist kein Baum, da ist nur ein einzelner Zweig.“ Das spirituelle Ego hält mich für bescheuert und realitätsfremd.

Wenn ich mit einem offenen, erwachenden Menschen vor demselben Baum stehe, sieht er auch nicht viel, aber er ist neugierig. Und plötzlich erkennt er einen ganzen Ast mit vielen Zweigen dran. Und das lässt ihn ahnen, dass da tatsächlich ein großer, schöner Baum steht, den er bald in voller Pracht sehen wird. Diese Metapher zeigt den Unterschied zwischen der Blindheit von Egos, dem beginnenden Sehen von Erwachenden und den geöffneten Augen von Erleuchteten, deren Ego nichts mit dem Ego der erstgenannten zu tun hat.


Vor über zwölf Jahren habe ich mein damaliges, menschliches Ego ganz bewusst zum Teufel geschickt. Ich habe es bewusst sterben lassen. Zuvor hatte ich bemerkt, dass es mich mehr erdrückt hatte als es mir Momente großen Selbstwerts beschert hatte. Also musste es gehen. Das war eine große Erleichterung. 2012 habe ich den Großteil des Jahres bei einem Freund gewohnt, den ich von früher kannte, von meinem letzten Arbeitsplatz. Ich erinnere mich, dass er ein paarmal sehr erstaunt darüber war, wie sehr ich mich verändert hatte. Dass ich in einigen Punkten nichts mehr mit dem Arbeitskollegen zu tun hatte, den er einst kannte. Es war ihm nicht unangenehm, es fiel ihm nur deutlich auf.

Im selben Jahr, in dem ich meine alte Identität sterben ließ (2010), ist etwas anderes geschehen, was sehr bemerkenswert war und was alle Menschen kennen, die als Lehrer auftreten. Ganz automatisch und somit unbewusst entwickelte ich ein neues Ego. Das Ego des erleuchteten Meisters. Und dieses Ego kann wieder leicht in den Vordergrund treten, wenn man sich dessen zu wenig bewusst ist. Wobei das Schlimme nicht das ist, dass es in den Vordergrund tritt, sondern die teilweise Unbewusstheit. Ich hatte es damals wohl recht schnell wahrgenommen, aber es drang nicht in die Tiefe meines Bewusstseins, was es tut und welche Risiken es birgt.

Soweit ich das einschätzen kann, geht es da allen erleuchteten Lehrern gleich. Das hat massiv damit zu tun, dass ihnen von außen diese Rolle zugedacht und angetragen wird. Die Anhänger dieser Menschen wollen einen erleuchteten Meister sehen und erleben. Sie wollen das sehen, was sie sich unter einem erleuchteten Meister vorstellen. Sie wollen einen perfekten, allwissenden, über allen Dingen stehenden Lehrer sehen, der nie Probleme hat und nie krank ist. Sie wollen einen Übermenschen, also eine Superraupe sehen. Das übt durchaus Druck auf diese Lehrer aus und lässt ein Ego entstehen, das sie gar nicht wirklich haben wollen. Sehr schnell sind sie bereit, sich so zu verhalten, wie es von ihnen erwartet wird.

Nun, als ich mir irgendwann 2011 dessen bewusst wurde, was dieses Ego für mich bedeutet, habe ich es wieder getötet. Ca. ein Jahr später war es wieder soweit, und ich habe es wieder getötet. In meinen späteren Jahren des Rückzugs hatte das alles natürlich keine Bedeutung. In den Jahren 2017 und 18 kam wieder so etwas ähnliches, aber leiser und in einer anderen Qualität. Das gefiel mir schon besser. Dennoch mussten auch diese Egos wieder sterben. Nun, ich habe „mich“ schon ziemlich oft getötet. Es ist nichts Schlimmes daran. Die eine Identität geht, eine andere kommt. Das ist der Umgang erleuchteter Menschen mit ihren Egos. Sie sind sich nämlich dessen bewusst, was ein Ego ist und wozu es eigentlich dient.

Heute merke ich ganz einfach, dass da immer wieder Ansätze auftauchen, ein Ego auszubilden, das ich so nicht haben will. Dann wechsle ich es, ich spiele damit. Ich schlüpfe in die Rolle des Meisters, in die Rolle des Kranken, in die Rolle des Armen, in die Rolle dessen, der von manchen Aspekten überrumpelt wird usw. Manchmal sind Menschen verwirrt deswegen. Erst kürzlich sagte mir eine Klientin, dass sie schockiert darüber war, dass jemand, der schon so lange erleuchtet ist, solche körperlichen Symptome hat, wie ich sie gerade habe. (Darüber schreibe ich zu gegebener Zeit noch.)

Alles, was ich schreibe, ist authentisch, alles ist echt. Der Meister, der wählt anstatt zu arbeiten, ist genauso ich wie der Mensch, der schon wieder zu wenig Geld hat. Der Erleuchtete, der sieht und versteht, ist genauso ich wie der, der von Herzinfarkten und Schlaganfällen erzählt. Ich bin das alles und mehr, und nicht nur eines davon. Die Vorstellung des übermenschlichen Erleuchteten ist ein Trugbild von allen Menschen, die nicht selbst schon seit Jahren erleuchtet sind. Ebenso wie es ein Trugbild der Superegos ist, weise und wissend zu sein.

Kommentare

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Ich bin gerade sehr amüsiert ab deinem Beitrag und der schockierten Klientin ;-) Ich bin so froh, habe ich mich dir gegenüber "schockierend" offen ausgedrückt über diesen "Schock"! Es hat mir so schön aufgezeigt, dass ich da ganz bestimmte Vorstellungen und Glaubenssysteme über erleuchtete Menschen habe - herrlich naiv und kindlich. Danke für deinen weiteren authentischen Beitrag. Ich mag es sehr, andere Aspekte vor den Latz geknallt zu kriegen, welche mich zum rattern bringen - ich liebe diese Bewegungen in mir... :-)

Naja, eigentlich hast du ja „geschockt" geschrieben, nicht „schockiert". Ich hoffe, diese kleine Unschärfe stört dich nicht zu sehr. smiley Die Vorstellungen über erleuchtete Menschen wirst du In nächster Zeit wohl revidieren, jetzt hast du ja das eigene Beispiel vor Augen.

Übrigens warte ich zwar geduldig, aber doch erwartungsvoll, auf ein E-Mail von dir. wink