Warum nur, warum?

Im Frühling 2009 habe ich in mein erstes, unveröffentlichtes Buch den Satz geschrieben: „Die Frage Warum? ist die unnötigste Frage, die du dir stellen kannst.“ Seit letztem November ist mir das wieder verstärkt aufgefallen, und seitdem trage ich mich mit dem Gedanken, darüber zu schreiben. Vor ein paar Wochen ging es in einem Gespräch eben um diese Frage. Das hat mich wieder daran erinnert, dass ich darüber schreiben wollte. Nun, es sind aber dann doch noch ein paar Wochen vergangen.

In besagtem ersten Buch schreibe ich unter anderem über die geistigen Gesetze, auch als hermetische Gesetze bekannt. Da gibt es das Gesetz von Ursache und Wirkung, das letztlich nur besagt, dass es keine Zufälle gibt, weil jedes Ereignis oder jeder Zustand eine Ursache hat und auf der anderen Seite wieder Ursache für ein anderes Ereignis ist. Jede Wirkung hat eine Ursache und ist wieder Ursache für eine andere Wirkung. Wenn ich nun also nachdenke, warum etwas wie ist, in mir oder im Außen, warum ich etwas tue oder will, dann freut sich mein Verstand riesig. Ich finde vielleicht die Ursache heraus, aber der Verstand liebt ja solche Spiele. Logik, Zusammenhänge, Begründungen … Also fragt er gleich nach der Ursache der Ursache. Und dann nach deren Ursache. Nachdem alles eine Ursache hat, kann ich das Spiel endlos betreiben, weil es unendlich viele Ursachen gibt. Mein Verstand wird mich dazu antreiben, weil er ja eben solche Spiele liebt. Zwischendurch streut sich vielleicht eine nette Erkenntnis ein, und ich bin schon voll im Spiel drin. Und komme schwer wieder heraus.

Darum ist die Frage Warum? eine so unnötige und überflüssige Frage. Aber nicht nur darum. Angenommen es gelänge mir, eine Reihe von Antworten auf meine Warum-Fragen zu finden, die mich für den Moment zufrieden stellen. (Aber wirklich nur für den Moment. Denn spätestens morgen oder übermorgen geht die Fragerei weiter.) Aber mal angenommen, ich wäre für den Moment zufrieden. Was würde das an der Situation ändern? Wäre sie dann anders? Wäre das Ereignis anders oder gar nicht mehr vorhanden? – Natürlich nicht. Es bliebe alles so, wie es war. Nur mein Verstand hätte eine vorübergehende Befriedigung, weil er wieder einmal alles erklärt hätte. Gute Arbeit, toll!

Im selben Jahr, also 2009, lernte ich oberflächlich einen Mann kennen, der immer gut drauf war, immer gute Laune hatte und mit seinem Leben so richtig zufrieden war. Bei einer Geburtstagsfeier hatten wir uns zu später Stunde einmal ein bisschen unterhalten. Er erzählte mir, dass er einige Zeit davor in einem Buch Folgendes gelesen hatte: „Streiche zwei Wörter aus deinem Leben: Warum und Aber.“ Das hatte ihn so stark angesprochen, dass er das tatsächlich getan hatte. Und seit diesem Zeitpunkt war sein Leben fröhlicher und freudvoller verlaufen. Dieser Mann war kein spiritueller Mensch (zu seinem Glück wink), er hatte sich nur da und dort ein paar kurze Weisheiten herausgepickt, zu denen er stark in Resonanz ging. Und solcherart war ihm auf sehr leichte Weise auch bewusst geworden, dass er allein für sein Leben verantwortlich war. Eigenverantwortlich, fröhlich und zufrieden. Viel mehr kann man doch gar nicht wollen, oder?

Letztes Jahr im Spätherbst und zu Winterbeginn fiel mir also dieses Warum wieder verstärkt auf. Kein Wunder, ich war wieder vom Massenbewusstsein umgeben. Zuvor im Grünhexenland hatte es das Warum-Fragespiel nicht gegeben. Sehr erleuchtet, kann ich nur sagen! Das geht ja in der Masse wirklich die ganze Zeit. Eines Tages traf ich mich mit einem Bekannten. Wir führten Smalltalk, ich erzählte von der Begegnung mit einem anderen Menschen und dessen Verhalten. Mein Bekannter meinte gleich: „Na wahrscheinlich hat er dies und das gedacht.“ Ich schüttelte innerlich nur mehr den Kopf. Ich mache mir über die vermeintliche Motivation anderer Menschen einfach keine Gedanken! Wozu? Was soll das bringen? Es ist vergeudete Energie! Nicht nur, dass ich dabei versuchen würde, die unbeantwortbare Warum-Frage zu beantworten, ich würde auch gleich wieder im Außen hängen und mich mit anderen und deren Wirkung auf mich beschäftigen, anstatt bei mir zu bleiben. Es kommen sowieso nur Mutmaßungen und Unterstellungen dabei raus.

Etwa ein Jahr zuvor ging ich in der Südsteiermark mit Bekannten spazieren. Wir gingen so durch die Landschaft. Rundherum gab es nicht nur Naturlandschaft, sondern vor allem Weinberge und ab und zu Häuser. Meine Bekannten tasteten alles ab wie ein Radarschirm und versuchten, alles zu erklären. „Dieses Haus wurde sicher soundso gebaut; diese Ecke hat sicher jenen Zweck; diese Konstruktion in diesem Weingarten wurde bestimmt aus jenem Grund gemacht.“ Und so weiter. So ging es die ganze Zeit dahin. Ich schüttelte natürlich den Kopf. Und dankte mir, dass ich das nicht mehr tat. Mein Leben war dadurch sehr viel einfacher, leichter und genussvoller.

Die beiden genannten Beispiele zeigen, wie sehr dieses Muster des Nachfragens Warum? in den Menschen eingebrannt ist. In diesen Beispielen wurde ja das Wort Warum gar nicht erwähnt, es war einfach nur latent vorhanden. Der Verstand stellte die Frage und beantwortete sie sogleich. Erklärungen, Begründungen, Argumentationen. Es sind nur Verstandesspiele.

Ich habe vor langer Zeit, also sicher vor ein paar Jahren, aufgehört, die Frage Warum? zu stellen. Und je länger ich damit aufgehört hatte, desto deutlicher fiel mir auf, wie anstrengend es ist, sich mit dieser Frage zu beschäftigen! Solange man in der Warum-Schleife drin hängt, fällt einem die Anstrengung ja nicht auf. Danach dafür umso deutlicher. Es ist anstrengend, weil sich die Fragerei nur im Verstand abspielt, und dieser Aspekt saugt Energie ohne Ende. Das spüre ich sofort. Und die Frage führt weg von mir, nicht zu mir hin. Das ist ebenfalls anstrengend.

Mein Kern, mein wahres Ich, oder meines Seele, wenn du so willst, fragt nicht Warum. Mein Kern akzeptiert (oder lehnt ab, wenn er in der völlig falschen Umgebung ist), will sich ausdrücken, Freude haben, erschaffen, erfahren und teilen. Ein Warum interessiert ihn herzlich wenig. Gehe ich dieser Frage nach, bewege ich mich also weg von meinem Kern. Schwupp, schon wieder verlorene Minuten oder Stunden oder gar Tage. Warum? ist nur Analyse, nur Verstand.

Und das Paradoxe an der Sache ist, dass die Warum-Frage wahre Erkenntnis verhindert. Selbst dann, wenn ich scheinbar eine befriedigende Antwort gefunden habe! Eine Sache (Situation, Ereignis, Handlungsweise) offenbart sich mir in dem Moment völlig, in dem ich sie akzeptiere und mich ihr öffne. Dann kann ich – ohne zu fragen – plötzlich viele Facetten der Sache sehen. Sie stehen einfach da. Dieses Warum hingegen hat ja so ein bisschen etwas Ablehnendes in sich. Ich sage dabei implizit: „Hey, du liebe Situation du! Ich bin erst dann bereit, dich zu akzeptieren, wenn ich weiß, warum du eigentlich da bist. Also, warum?“ Ich lehne mit dieser Frage also eigentlich das, was ist, ein bisschen ab. Und dadurch kann es sich mir nicht offenbaren.

Es geht doch immer nur darum, was jetzt ist. Und nicht, warum es ist. Dabei stellt sich genau eine Frage, und darüber sollte nachgedacht und vor allem nachgefühlt werden: Was will ich jetzt, in dieser Situation? Und nicht, warum will ich das jetzt. Letzteres ist das Konterkarieren des Lebens! Ich akzeptiere nicht einmal, was ich will, sondern frage mich, warum ich es will. Ach herrje!

So, wie ich da schreibe, schreibe ich jetzt, und so hätte ich auch in den letzten paar Jahren geschrieben. Davor gab es eine Zeit, wo mir die Frage Warum? dienlich war. Wo mir auch mein Verstand mit dieser Fragerei und den Beantwortungen dienlich war. Nämlich ganz am Anfang meiner Reise. Und dabei ging es eigentlich gar nicht darum, die richtigen Antworten auf die Warum-Fragen zu finden, sondern nur darum, mein Bewusstsein für mich selbst zu schärfen oder erst einmal zu entwickeln. Da war die Frage „Warum tue ich das eigentlich?“ schon angebracht, um dir dessen gewahr zu werden, dass ich Glaubenssystemen und Handlungsmustern folgte, ohne je darüber nachgedacht zu haben, ob ich diesen Glauben und diese Muster für mich eigentlich gelten lassen wollte. Ohne darüber nachgedacht zu haben, ob ich nicht auch ganz andere Möglichkeiten hatte. Die Frage Warum? diente also nicht so sehr der Beantwortung der Frage, sondern dem Öffnen von Türen in meinem Bewusstsein. Auf diese Art lernte ich dann auch recht bald, meine innere Stimme deutlich wahrzunehmen und sie von anderen Stimmen zu unterscheiden.

Voilà, Zweck erfüllt. Ende des Fragens. Naja, ich erinnere mich schon, dass ich eine zeitlang dieses Fragen liebte und es weiterführte, obwohl es eigentlich nur noch kontraproduktiv war. Und ich erinnere mich, dass ich mich dabei ganz schön angestrengt habe. Es verging dann aber irgendwann, auch relativ bald, von selbst.

Ich verwende diese Frage auch bei anderen Menschen so, wie ich sie bei mir verwendet habe. Wenn mich ein noch eher unbewusster Mensch fragt, was er tun soll, nachdem er mir sein Leid geklagt hat, frage ich ihn auch: „Warum tust du das?“ Ich erwarte dabei keine Antwort von ihm, sondern will nur sein Bewusstsein in Bewegung bringen. Und wenn er im selben Moment sagt, „Ich könnte auch etwas ganz anderes machen!“, hat die Frage ihren Zweck erfüllt. Eine weitere Antwort in Form einer Begründung ist nicht nötig.

Abgesehen von den schlafenden Menschen, für die es selbstverständlich ist, alles erklären und begründen zu wollen, begegnen mir dann und wann erwachende Menschen, die sich mit der Frage Warum? so richtig schön fertig machen. An alles und jedes in ihrem Leben hängen sie gleich die Frage: „Warum ist das so? Warum ist das da?“ Und bei jeder Handlung fragen sie sich: „Warum tue ich das?“ Häufig sind das genau die Kandidaten, die von Seminar zu Seminar laufen, von einer Heilsitzung zur nächsten, die ein Buch nach dem anderen verschlingen, um ihre Warums zu beantworten. Anstatt zu sagen: „Es ist, was es ist. Es ist jetzt einfach da.“ Und dann zu fühlen, wie ihnen die Sache gefällt und wie sie mit ihr umgehen möchten.

Und manchmal erlebe ich Gespräche, die von diesen hinterfragenden und analytischen Warums geprägt sind. Wie mühsam! Stell dir nur vor, du sagst zu mir: „Ach, ich bin überglücklich! Ich könnte die ganze Welt umarmen!“ Und ich antworte: „Warum bist du glücklich? Was willst du mit der Welt? Hast du dich noch gar nicht gefragt, was dich da glücklich macht?“ Oder: „Heute Abend bekomme ich meine erste Staffelei. Ich freue mich schon so sehr darauf, mein erstes Ölbild zu malen! Ich male so gerne!“ Und ich: „Warum malst du gerne? Was willst du mit deiner Malerei?“ Da kann ich mit meinen Warum-Fragen so richtig schön den Lebenssaft aus dir rausziehen, im Handumdrehen. Du würdest vermutlich nicht mehr so gerne mit mir reden wollen.

Dieses Fragen kommt einfach nur aus dem Verstand, es hat mit Leben nichts zu tun. Der Verstand will analysieren. Der analytische Verstand kann aber nie erfassen, wer ich wirklich bin, er kann meinen Kern, mein ganzes Wesen nicht erfassen. Dazu wurde er auch nicht gebaut. Der analytische Verstand kann meine Motive nicht verstehen. Er kann auch nicht verstehen, was mich glücklich macht, und schon gar nicht, warum es mich glücklich macht. Kennst du die berühmte Frage „Warum liebst du mich?“? Kann die nicht wunderbar jede Liebe zermalmen? Der analytische Verstand kann Liebe nicht begreifen.

Wenn ich in mir bin, fühle ich klar, was ich tun möchte. Das ist ein ganz klarer Auftrag, da stellen sich keine Fragen. Wie bei meinem aktuellen Buch zum Beispiel. Würde ich mich fragen, warum ich das eigentlich will, wäre ich überhaupt nicht mehr in der Lage, etwas Erfüllendes zu tun.

Seit einigen Tagen blättere ich gerne in meinem Buch Spirituelle Revolution, weil Rupert, mein Freund, bei dem ich gerade wohne, ein gebundenes Buch drucken hat lassen. Das liegt jetzt am Couchtisch, sehr verführerisch. laugh Also lese ich fast täglich ein oder zwei Kapitel, das geht gut mit diesem Buch, man kann es immer wieder zur Hand nehmen und einzelne Teile daraus lesen. Abgesehen davon, dass es mir nach wie vor ausgesprochen gut gefällt, habe ich gleich etliche Beispiele von mir selbst gefunden, wie ich beschrieben habe, was sich mir alles offenbart hat, gerade weil ich mich nicht Warum? gefragt hatte. Ich hatte diese Erfahrungen gar nicht mehr gegenwärtig, sie fielen mir aber beim Lesen natürlich wieder ein. Diese wunderbaren Beispiele zu lesen, veranlasste mich letztlich, jetzt doch über das Thema zu schreiben.

Der Verstand entwickelt sich weiter, argumentieren manche. Natürlich tut er das. Wenn er sich weiterentwickelt, heißt das, dass er anders funktioniert als zuvor. Mein Verstand weiß längst, dass er mich und mein Leben nicht analysieren kann, dass sich eine Sache in immer mehr Facetten einfach offenbart, wenn ich sie annehme, wie sie ist, dass er mit Warum-Fragen nicht weiter kommt. Deshalb stellt er sie auch nicht. Mein Verstand arbeitet eindeutig nicht mehr so wie vor ein paar Jahren. Er hat sich weiterentwickelt. Er lernt immer mehr, dass andere Instanzen in mir viel schneller und viel umfassender erkennen können. Diese Instanzen können dafür aber mit linearer Zeit nicht umgehen, genau dafür ist der Verstand da.

Alles Was War hat sich dereinst einmal gefragt: „Wer bin ich?“ Damit begann eine sagenhafte Evolution. Es hat sich nicht gefragt: „Warum will ich eigentlich wissen, wer ich bin?“ Alles Was War hatte keinen Verstand. Dieses Bewusstsein war trotzdem genial genug, den menschlichen Verstand zu erschaffen. Es ist auch genial genug, über ihn hinaus zu gehen.

Schließlich noch eines. Natürlich frage ich ab und zu Warum. Bei irgendwelchen Dingen, wo es angebracht ist. Ich frage bloß nie, warum ich wie bin, warum ich etwas will, warum ich etwas tue, warum jemand anderer etwas tut usw. So ein Leben ist sehr viel leichter, ebenso wie ein Leben ohne Drama. Ich kann jetzt keine Regel aufstellen, in welchem Zusammenhang ich Warum? gebrauche und in welchem nicht. Ich denke, du kannst schon ganz gut erfühlen, was ich meine.