Die Ursache allen Leides

Die Ursache allen Leides ist das Festhalten. Menschen halten an Dingen fest, an Umständen, an Menschen, an Einstellungen, an Vorstellungen, an Konzepten, an Plänen und Zielen, an Glaubenssystemen und an einigem mehr.

Das Leben ist von Natur aus dynamisch, Energie ist von Natur aus dynamisch. Das heißt, im natürlichen Fluss verändert sich das Leben ständig. Wenn du nun an der Vorstellung festhältst, dass dein Leben so und so sein sollte, leidest du. Lass uns das genauer betrachten.

Menschen halten an Dingen fest. Manche mehr, manche weniger, aber alle halten fest. Sie bestehen darauf, dass die Dinge, die sie besitzen, auch morgen noch in ihrem Besitz sind. Die Dinge werden scheinbar ganz von alleine immer mehr. Es hat wohl jeder schon in seinem Leben festgestellt, dass diverser Kram und Krempel sich in seiner Wohnung einfach ansammelt. Manche Menschen betreiben das auch aktiv, sie müssen zwanghaft immer mehr Sachen zuhause haben. Aber abgesehen davon, wer kennt nicht ein paar dieser Situationen? Die Fotos aus meiner Kindheit kann ich doch nicht wegschmeißen; meine alten Zeugnisse brauche ich sicher noch; die Urlaubsfotos sind so schön; die alte, kaputte Spieluhr erinnert mich an meine Großmutter; Bücher schmeißt man doch nicht weg!; Geschenke schmeißt man nicht weg. Und so weiter.

Jedes Mal, wenn du dich ans Entrümpeln machst, stolperst du über Dinge, von denen du gar nicht mehr wusstest, dass du sie hattest, und entscheidest dich, sie auch weiterhin zu behalten. Wegen der Erinnerung oder weil du glaubst, dass du dieses und jenes noch brauchen könntest. Und das ist ein Angstmotiv. Die Dinge beschränken sich nicht nur auf das Physische, vieles liegt heute in elektronische Form vor. Die Festplatten der Computer werden immer größer und immer voller. Wie oft entrümpelst du deine Datenträger? Wie oft geht es dir dabei genauso wie beim physischen Entrümpeln?

Oft halten Menschen nicht nur an Dingen fest (die sie gar nicht brauchen), sondern auch an der Ordnung der Dinge. Die Möbel müssen immer am selben Platz stehen. Ein Bild muss am selben Platz hängen.

Die Dinge sind das geringste Übel von allen Arten des Festhaltens, aber selbst da entsteht viel Leid. Wie unglücklich sind Menschen oft, wenn ein wichtiges Ding verloren geht! ZB das Auto, ein teures Möbelstück oder der Laptop. Was jammern Menschen, wenn ihr Handy verloren geht! Das Problem ist, dass sie mit ihren Dingen identifiziert sind. Also leiden sie, wenn die Dinge verschwinden. Es ist, als ob ein Stück ihrer Identität weggerissen wird.

Ich habe nie viele Dinge angehäuft und habe immer wieder entrümpelt. Aber als ich im Sommer 2010 meine Wohnung auflöste und mich von allen, wirklich allen Dingen trennte, war ich erstaunt, wie viele Dinge ich hatte und wie sehr ich an ihnen hing. Ich erlebte die Dynamik, die entsteht, wenn alle Dinge aus meinem Leben verschwinden. Das dauerte aber nur kurz, denn ich hatte mich bewusst so entschieden. Und danach habe ich festgestellt, dass ich mich nicht entwurzelt oder nackt fühlte und dass ich ohne den Ballast der Dinge sehr gut leben konnte. Ich war und bin kein großer Festhalter. smiley

Wie gesagt, die Dinge sind am harmlosesten. Schauen wir einmal auf die Umstände, da wird es schon kniffliger. Umstände, das sind deine gesamten Lebensumstände. Die Dinge sind ein Teil deiner Lebensumstände, ebenso wie dein Körper. Die Wohnung oder das Haus, in der/dem du lebst. Die Umgebung, die Nachbarn. Dein Job, wenn du einen hast, oder deine Selbständigkeit mit ihren Mitarbeitern. Oder deine Arbeitslosigkeit. Die Höhe deines Einkommens. Die Freunde und Bekannten. Die Familie, falls du eine hast. Das ist schon ziemlich viel, es ist oft das, was du dein Leben nennst. Und du hältst fest daran. Du wünscht dir zwar, dass sich die Umstände bzw. einzelne davon ändern, aber nur in der von dir vorgegebenen Richtung. Du wünschst einen besseren Job, bessere Bezahlung, weniger Stress usw. Du denkst dabei immer dual, also besser oder schlechter. Du denkst nicht in der Kategorie so oder anders, und schon gar nicht in der Kategorie so oder ganz anders.

Wenn sich nun ein oder mehrere Umstände verändern, ohne dass du die Veränderung mit deinem freien Willen angestrebt hast, leidest du. Du verlierst deinen Job oder deinen Partner; die Regierung verordnet eine Impfpflicht. Leiden. Und warum leidest du? Weil du daran festhältst, dass die Umstände bleiben, wie sie sind. Mehr noch, du bestehst darauf, dass sie bleiben, wie sie sind. Da möchtest du mir wahrscheinlich widersprechen. Aber ich sage dir, du bestehst darauf. Denn wenn du nicht darauf bestehen würdest, wären deine Umstände anders. So einfach ist das. Menschen meinen, sie hätten Probleme und wollen sie weg haben. Und dabei kriegen sie nicht mit, dass sie auf ihre Probleme bestehen. Du bestehst auf deine Probleme durch die Art, wie du darüber denkst und fühlst. Und so projizierst du dieselben Umstände in jeden neuen Tag, den du erlebst.

Mehr noch als nur mit den Dingen sind Menschen mit ihren Lebensumständen identifiziert. Wenn sich die Umstände signifikant ändern, leiden sie. Sie wollen ihre gewohnten Umstände beibehalten. Sie sind sogar ängstlich, wenn sich gewisse Umstände drastisch zum Besseren ändern. „Werde ich damit umgehen können?“, fragen sie sich. „Das Alte war so gewohnt und vertraut, das konnte ich überblicken und einschätzen.“

In meinem Leben haben sich mit Ausnahme meines Körpers alle Umstände mehrfach total verändert. Da gab es auch keine Kontinuität. In einem Jahr waren sie so, in einem anderen Jahr ganz anders. Gelitten habe ich dabei wenig, weil ich Veränderungen mag und nicht verabscheue.

Kommen wir nun zu den Menschen. Ich spreche von allen Menschen, die du persönlich kennst. Also spreche ich von Beziehungen. Ich spreche nicht nur von Menschen, die dir nahe stehen, sondern von allen. Der Chef, den du nicht magst, der Referent beim Finanzamt, das Personal in Lokalen, die du besuchst usw. Ich hatte früher immer Stammlokale, die ich häufig besucht habe. Wenn dort eine Kellnerin, die ich mochte, plötzlich nicht mehr da war, habe ich gelitten. Es war natürlich kein tiefes Leid, aber ich habe oft noch Monate danach zutiefst bedauert, dass diese Person nicht mehr da war. Bei einer Trennung von meiner Freundin habe ich wirklich gelitten

Wenn es um Menschen geht, kommt es wirklich oft zu Leid, oft zu heftigem und tiefem Leid. Und dieses Leid kommt vom Festhalten. Ich merke am laufenden Band, wie Menschen daran festhalten, dass ihre geliebten Menschen in ihrem Leben sein müssen und dass sie so sein müssen, wie sie sich das wünschen und vorstellen. Beziehungen sind Leben, sie sind lebendig. Also ist der natürliche Fluss, dass sie sich verändern. Jeder Mensch, der diese Veränderung nicht will und das Alte festhält, leidet. Oft ziemlich hartnäckig und ziemlich lange.

Das größte Leiden entsteht durch das Festhalten von Vorstellungen, und die halten Menschen am hartnäckigsten fest. Da sind zB Vorstellungen, wie das Leben zu sein hat. Man ist lieb und nett zueinander, man kümmert sich um andere, man sorgt füreinander, man hilft einander, man liebt und wird geliebt, man stößt niemand vor den Kopf, man macht Karriere, man konsumiert dieses und jenes, man macht Urlaub am Meer, man ist unauffällig, man passt sich an, man trauert, wenn jemand stirbt, usw. usf. Die Liste ist endlos.

Es gibt Vorstellungen, wie der Partner zu sein hat. Und Vorstellungen, wie überhaupt Menschen zu sein haben. Du hast eine Vorstellung davon, wer du bist und wie du bist. Das ist das kleinste Gefängnis von allen. Es gibt Vorstellungen, wie die Umstände zu sein haben und Vorstellungen, wie die Welt ist.

Alle Vorstellungen werden praktisch ständig erschüttert, aber die Menschen halten an ihnen fest. Und leiden.

Du hast eine Vorstellung davon, was der Erwachensprozess ist und wie er verlaufen sollte. Und du hast eine Vorstellung davon, was Erleuchtung ist. Das ist der wesentlichste Grund dafür, dass sie so lange nicht eintritt.

Und dann gibt es das Festhalten an Glaubenssystemen. Das ist besonders trickreich, weil du dir des größten Teils deiner Glaubenssysteme nicht bewusst bist. Du gehst also ganz automatisch von Annahmen aus, die du nicht kennst. Und die Glaubenssysteme, die du kennst, hältst du fest, und deshalb manifestieren sie sich. Ist dir schon einmal in den Sinn gekommen, dass dein Körper nur deshalb altert und schwächer wird, weil du glaubst, dass es so sein muss? Dass ein bestimmter Umstand immer in deinem Leben ist, weil du glaubst, dass er da sein muss?

Menschen verteidigen ihre Glaubenssysteme mit Zähnen und Klauen. Sie sind der Kern ihrer Identität. Jeder, der versucht, einem Menschen die Illusion eines seiner Glaubenssysteme vor Augen zu führen, wird geächtet. Mindestens. Wenn dem Menschen aber doch ein Glaubenssystem entrissen wird, wodurch auch immer, leidet er. Oft nicht zu knapp.

Wie auch immer, ich beende meine Liste der Aufzählungen und Beispiele hier. Du hast das Prinzip erkannt. Leiden entsteht durch Festhalten. Würdest du nicht festhalten, dann könnte was auch immer passieren, und du würdest nicht darunter leiden.

Das ganze Erwachen ist nur deshalb mit so viel Leiden verknüpft, weil Menschen festhalten. Im Erwachen finden dir größten und tiefgreifendsten Veränderungen statt, die überhaupt möglich sind. Und das in einem hohen Tempo. Das ist an sich schon eine riesige Herausforderung für den erwachenden Menschen. Aber wenn er ständig festhält an Dingen, Umständen, Menschen, Vorstellungen und Glaubenssystemen, mit anderen Worten, wenn er ständig an seiner Identität festhält, ist das Erwachen ein Weg voller Leiden.

Schließlich möchte ich noch eine Sache erwähnen, an der Erwachende festhalten, ohne es zu merken. Das ist die Verbindung zum Feld. Das Feld, aus dem alle Wesen ihre Energie beziehen, über das alle mit allen verbunden sind. Jedes beseelte Wesen hat eine Höllenangst bei dem Gedanken, sich vom Feld zu lösen. Das ist sehr verständlich, denn es taucht sofort die Frage auf: „Woher bekomme ich dann meine Energie? Wie soll denn Leben ohne die Energie aus dem Feld überhaupt möglich sein?“ Und deshalb halten sie am Feld fest. Aber ein Wesen, das in seine Souveränität geht, wie du und ich, löst sich vom Feld, muss sich vom Feld lösen. Denn früher oder später entsteht großes Leid durch diese Verbindung. Zu diesem Thema hat es schon ein paar Beiträge gegeben, und es wird in nächster Zeit noch ein paar geben.