Ich lebe!

Letzte Nacht kurz vor dem Schlafengehen ist ein kurzer Satz aus mir heraus gesprudelt: „Ich lebe.“ Da war noch kein Rufzeichen dabei. Ich habe diesen Satz nicht gedacht, habe ihn nicht vorsätzlich gesagt. Er ist mir einfach aus dem Nichts ganz selbstverständlich über die Lippen gekommen. Er war sehr ruhig und sehr deutlich.

Unmittelbar nachdem dieser kurze Satz gesprochen war, setzte spontan starker, tiefer Atem ein. Ich konnte die Zigarette nicht weiter rauchen, weil ich tief atmen musste. Bei diesem Atem, den ich sehr gut kenne und liebe, geht überhaupt nichts anderes. Nicht sprechen, nicht essen, nicht trinken, nicht denken und natürlich auch nicht rauchen.

Während des Atmens ist dann das Rufzeichen dazugekommen, aus „Ich lebe.“ wurde „Ich lebe!“. In mir ist alles aufgestiegen, was in den letzten Monaten und Jahren, vor allem aber seit meiner Blogserie, so da war. Da war einiges, was sich nicht nach Leben angefühlt hatte. Da brauche ich nur an die Schmerzen heuer und die ewige Geldgeschichte denken.

Ich lebe! Das drückt aus, ich bin lebendig, ich fühle mich lebendig. Ich fühle die Lebendigkeit in mir. Es ist quasi das Gegenteil von überleben. Deshalb auch der starke, tiefe Atem. Ich atmete das Leben.

Ich lebe ist im Grunde dasselbe wie ich bin. Denn das Sein ist das Leben. Das reine Sein, einfach nur zu sein, das ist Leben. Sein heißt eben nur sein, nicht etwas bestimmtes tun, nicht sich Sorgen machen oder Angst haben. Nicht an morgen oder gestern denken. Vor kurzer Zeit hatte ich einen Gedanken, als im Hintergrund die Frage schwebte: „Was ist Leben?“ Der Gedanke im Vordergrund war die Antwort auf die Frage im Hintergrund. Leben ist einfach nur sein und tun, worauf ich gerade Lust habe. Was immer das auch ist, auch wenn es Nichtstun ist. Da ist eben keine Schwere, keine Sorge und kein Gedanke an die Zeit oder daran, was ich tun oder erreichen sollte. Das ist Leben.

Wiewohl Leben dasselbe ist wie Sein, hat für mich die Aussage ich lebe eine andere Kraft als ich bin. Sie ist geradezu gewaltig. Ich lebe beinhaltet eben auch das implizite Zusatzgefühl, dass ich nicht einfach nur überlebe. Mehr noch, es beinhaltet, dass ich mich mit dem Überleben überhaupt nicht beschäftige. Das macht die Gewalt dieser Aussage aus.

Meine Blogserie GL Teil 1 – 5 war wirklich bedeutend für mich. Als ich begonnen habe daran zu schreiben, war es mir ein Bedürfnis auszudrücken, was ich in den Monaten davor erlebt hatte. Am Anfang erinnerte ich mich noch gut an den Schmerz, er war ja erst seit ein paar Tagen vorbei. Irgendwie war ich noch im Schmerz drin. Am Ende der Serie ist mir der Anfang fremd erschienen. Er war wie aus einem anderen Leben. Wenn ich jetzt an den Sommer denke, was von selbst gar nicht passiert, frage ich mich, was da eigentlich war. War da was? Es ist weit, weit weg. Weil seither so viel in mir passiert ist. Sogar der dritte Teil, der ja doch zeitlich noch ziemlich nah ist, ist weit weg. Zwischen dem ersten und dem letzten Teil liegen gerade einmal 14 Tage.

Bedeutend war die Serie nicht nur deshalb, weil ich mich in einer kurzen Zeit ausführlich ausgedrückt habe, sondern auch deshalb, weil ich beim Schreiben das alles gefühlt habe! Ich habe ja bei weitem nicht alles aufgeschrieben, was ich gefühlt habe. Das wäre vielleicht auch langweilig für dich geworden, auf jeden Fall aber lang, sehr lang. Ich habe mein ganzes Leben von 2010 bis heute gefühlt und noch einmal erlebt, allerdings aus einer anderen Perspektive, mit einem anderen Bewusstsein. Deshalb war alles so klar, deshalb hat sich alles aufgelöst.

Und jetzt habe ich das Gefühl der Lebendigkeit, jetzt habe ich gesagt, ich lebe. Das habe ich in meinem Leben schon oft gesagt, bewusst, aber so eine tiefe Bedeutung wie letzte Nacht hatte es noch nie gehabt.

Wie wäre es für dich, das Leben zu wählen? Zu sagen, „Ich wähle das Leben“? Aus ganzem Herzen. Wenn du aus ganzem Herzen das Leben wählen würdest. Anstatt der Quälerei, die es oft gibt, anstatt irgendetwas erreichen zu wollen, anstatt etwas schaffen oder hinkriegen zu müssen, anstatt tausend Dinge berücksichtigen zu müssen. Statt alledem einfach nur zu leben.

Da fällt mir ein, ich habe das schon einmal gemacht, im Frühsommer 2008. Da hat dann sofort eine großartige Zeit für mich begonnen. Plötzlich war ich kein Einwohner Wiens mehr. Ich habe die Stadt gesehen wie ein Tourist. Wenn ich in irgendeiner Stadt auf Urlaub bin und aus dem Fenster schaue, schauen die Menschen und das Leben dort ganz anders aus. Ich sehe sie reden und singen und tanzen und arbeiten, aber ich bin nicht Teil davon. Ich bin in ihre Sorgen und Probleme nicht involviert, ich sehe nur die Schönheit des Lebens. Genau so habe ich Wien und mein Leben da gesehen und gefühlt nach meiner Wahl im Juni 2008. Ich hatte dann bis September eine sehr gute Zeit. Dann meldete sich wieder mein Antreiber und hat mir gesagt, dass ich in meinem Erwachen vorwärts kommen und schnellstens in Richtung Erleuchtung gehen muss. Ich war damals praktisch mit meinem Antreiber identifiziert, also habe ich das Touristendasein verlassen und mich wieder angestrengt.


Ich habe ja im letzten Teil der Blogserie, meinem halbgöttlichen Leben, gesagt, dass ich seit September eine Art Quantensprung vollziehe. Oder schon vollzogen habe. So genau kann ich das immer erst eine gewisse Zeit im Nachhinein sagen. Ich weiß nur, dass ich mich jetzt deutlich anders fühle als bis zum Frühling. Im Sommer habe ich dann gelitten und war mit etwas anderem beschäftigt. Ab September kamen die Veränderungen durch Erkenntnisse dann ziemlich dicht. Ich bin also jetzt ein anderer. Wieder einmal. cheeky

Und da ist mir gleich aufgefallen, dass da etwas in meinem Leben ist, das ich loswerden will, nämlich das Beitragsabo. Das war die Benachrichtigung über neue Beiträge auf meiner Website. Das hatten doch etliche Leute abonniert. Nach eben diesem letzten Eintrag hat eine Abonnentin das Abo storniert. Als erste Reaktion habe ich einen kleinen Stich verspürt. (Nicht körperlich.) „Na geh“, dachte ich, „ich wollte doch mehr Abonnenten haben, nicht weniger“.

Moment, wie war das? Kurze Zeit später habe ich mich erinnert, warum ich dieses Abo eingeführt hatte. Da war noch ein Rest der schönen, alten Welt. Ich wollte Besucher irgendwie bei der Stange halten; wollte, dass sie einen Grund haben, auf meine Website zu kommen. Ach herrje! Wenn ein Besucher keinen anderen Grund hat, auf meine Website zu schauen, dann ist das ziemlich traurig. Dann ist er nicht wirklich daran interessiert. Ich sehe es ja auch an den Aussagen mancher Besucher. Die kommen sowieso öfter, mit oder ohne Abo. Außerdem finde ich es nicht so toll, wenn Menschen nur nach neuen Inhalten gieren. Auf meiner Website gibt es wahrlich viel Hilfreiches, da kann man wochenlang lesen und fühlen.

Also ich wollte damals etwas erreichen und das Erreichte aufrechterhalten. Das ist der Kern der Sache. Da kann ich nur den Kopf schütteln. crying Dann ist mir auch gleich eingefallen, dass mir bereits seit Jahresbeginn der Gedanke durch den Kopf schwebt, das Beitragsabo abzuschaffen. Tja, warum wohl. surprise Und dann habe ich dieser Frau gedankt, dass sie mich daran erinnert hat. Und seit heute gibt es das Beitragabo nicht mehr.

Was bleibt, ist der Newsletter, der hat für mich eine andere Bedeutung. Das ist ja kein Newsletter im herkömmlichen Sinn. Da schreibe ich über aktuelle Entwicklungen bei/in mir, über Dinge, die mich gerade bewegen. Dabei schreibe ich auch über wesentliche Neuerungen auf der Website. Mein Newsletter ist nicht dazu gedacht, Besucher zu gewinnen und sie bei der Stange zu halten. Den abonnieren Menschen, die meine Website mögen und sowieso kommen. Und ich mag es, gelegentlich mit ihnen in Kontakt zu treten und aus meinem Leben zu erzählen. Den schreibe ich ab jetzt dafür öfter als drei, vier Mal im Jahr (heuer war‘s erst einer). Dieser Entschluss hat sich für mich auch lebendig angefühlt. smiley

Die Musik von den Bee Gees ist mir spontan eingefallen. Das Lied vermittelt eigentlich eine traurige Stimmung, aber der Anfang passt so gut. „Als ich ein junger Mann war, war das Leben nur zum leben da.“ Das war schön. Später sind dann die Sorgen gekommen. (Und dann war das Leben nicht mehr nur zum leben da.) - Außerdem mag ich die Bee Gees.