Die Show: Spaß für mich, Drama für andere

Das Thema: Heiraten Ja oder Nein. Sieben Gäste auf der Bühne. Sechs vehemente Befürworter des Heiratens und der lebenslangen Partnerschaft. Und ich. Das Publikum: 100% Heiratsfreaks.  Das Studio quoll über vor altem Bewusstsein. Es war kein repräsentativer Schnitt der Gesellschaft. Keine lustigen Singles, keine Befürworter eines lockeren Lebens, nichts dergleichen. Ich hatte nicht mit so einer Verteilung gerechnet. Ich kann mich nicht erinnern, jemals in meinem Leben so einer massiven Wand von altem Bewusstsein gegenüber gestanden zu sein.

Meine Meinung war ganz und gar nicht gefragt, mein Bewusstsein sehr wohl. Aber das war niemandem bewusst, außer der Produktionsleitung. Bei der Barbara Karlch Show ist das so, dass auch im Publikum ausgewählte Gäste sitzen, die ihre Geschichten erzählen, Fragen stellen und Kommentare abgeben. Das ist auch so deklariert, es ist nicht so gemacht, dass es so aussehen soll, als ob die Leute im Publikum sich zufällig zu Wort melden. Obwohl auch das erwünscht ist, das tut aber so gut wie niemand. Ich erinnere mich an vier oder fünf solcher ausgewählter Publikumsgäste.

Nachdem meine Meinung nicht gefragt war, hatte ich die mit Abstand kürzeste Redezeit. Vielleicht zwei Minuten. Die Reaktionen, die ich hervorrief, waren aber umso heftiger, völlig unproportional zu meiner Redezeit. Ich bewegte wieder einmal. ;-) Ich betrat als viertes die Bühne. Barbara fragte mich etwas, ließ mich kurz reden und die anderen etwas dazu sagen, und dann kam ich nicht mehr zu Wort. Vor, während und nach der Show bekam ich immer wieder dieselbe Frage: „Warum willst du nicht heiraten?“ Ich sagte: „Warum sollte ich? Ich brauche einen Grund, um etwas zu tun. Keinen Grund dafür, etwas nicht zu tun, was man tun sollte.“ Meine Kernaussage auf der Bühne war: „Wenn ich vollständig bin und mich vollständig fühle, dann brauche ich keine Partnerin. In diesem Zustand ist eine Partnerin keine Ergänzung für mich, sondern eine Bereicherung. Sie bereichert mich um wundervolle Erfahrung. Das ist ein großer qualitativer Unterschied. Ich brauche sie nicht, um mir die Liebe zu geben, die ich mir selbst nicht gebe.“ Und ein paar weitere Sätze in dieser Richtung.

Das war für die Leute dort einfach viel zu viel. Einige wenige schüttelten fassungslos den Kopf und verstanden mich überhaupt nicht. Die meisten kritisierten mich heftig. Und sie wussten natürlich sofort, was ich für einer war. Sie legten mir alles in den Mund, was ich nicht gesagt hatte, und wussten gleich, wie sie mich einzuschätzen hatten. Ich war ein Egoist, einer, der einsam in der Wüste lebt, ich hatte noch nie eine Partnerin gehabt und würde auch nie eine haben, ich wollte keine Frau, ich hatte noch nie Liebe erfahren, ich wusste nicht, was Liebe ist, ich wollte nicht nur keine Frau, sondern überhaupt keine anderen Menschen, und: vollständig, das sei überhaupt der größte Blödsinn, den man je gehört hätte, denn vollständig sei nun wahrlich kein Mensch. Vielmehr ginge es darum, das Ich hinter sich zu lassen und ausschließlich das Wir zu leben. Ein Mann auf der Bühne sagte: „Wenn du vollständig bist, bin ich mehr als vollständig, denn ich war 52 Jahre verheiratet.“

Die Gäste auf der Bühne funkten sowieso gleich ihre Bemerkungen dazwischen, die Gäste im Publikum wurden dann alle zu meiner Meinung befragt. „Unmöglich!“, so der einhellige Tenor. Es wurde mir keine Möglichkeit eingeräumt, darauf zu antworten. Ich versuchte es ein paar Mal, aber es ging nicht leicht. Ich hätte richtig vehement unterbrechen können, was in dieser Show auch durchaus willkommen ist, aber das war mir zu mühsam. Bei den meisten Reaktionen musste ich einfach nur lachen ob meines Staunens, was da so alles verstanden wurde. Manche wollten mich angreifen, aber ich fühlte mich nur für wenige Sekunden angegriffen, danach nicht mehr. Ich fühlte einfach, was dahinter stand, da konnte ich mich nicht mehr angegriffen fühlen.

Einmal fühlte ich eine ganz starke Welle. Eine der Frauen im Publikum war besonders aufgeregt. Es war die, die wusste, dass ich nicht wusste, was Liebe war und nie Liebe erfahren hatte, und die mit dem WIR endete. Sehr emotional. Danach heftiger Applaus. Da kam diese starke Welle, und diese Welle war Angst. Niemand würde meine Einschätzung teilen, doch ich fühlte diese Angst. Angst, dass ich recht haben könnte. Angst, zu erkennen, dass sie alle sich nicht selbst liebten. Angst, dass die Wahl, seine eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken, falsch sein könnte. Angst, dass ihre ganze Identität ein Luftschloss sein könnte. Ich hatte sehr viel Mitgefühl in diesem Moment, die Welle der Angst war überwältigend.

Viele Ehejahre wurden als Leistung betrachtet. Eine Leistung, die es anzustreben gilt. Und natürlich sei nicht immer alles gut, natürlich müsse man zurückstecken und Kompromisse machen, natürlich …

Ich war der böse Bube, der Buhmann. Und ich war am richtigen Platz. Warum löste wohl die kürzeste Wortmeldung die heftigsten Reaktionen aus? Hatte ich etwa einen wunden Punkt getroffen? ;-)

Die Redakteurin (= Produktionsleiterin) war begeistert. Sie freute sich wirklich über meinen Auftritt. Sie dachte auch ähnlich wie ich. ;-) Barbara war es egal. Abgesehen davon, dass sie ihre Show natürlich mit großer Professionalität und mit einer guten Portion Schwung macht, steht sie wirklich neutral da. Und immer voller Respekt. Hut ab! Das machen wirklich nicht alle so. (Dazu sollte ich vielleicht anmerken, dass Barbara ihre Gäste nicht auswählt. Das macht die Redakteurin. Barbara wird dann lediglich so gut wie möglich informiert. Und sie bringt dann auch ihre eigenen Ideen ein.)

Die Leute, die gerade nicht auf der Bühne sind, von der aktuellen Show und von anderen, warten in drei Gästezimmern. Dort laufen natürlich die Fernseher. Als ich zurück in den Gästeraum kam, sagten gleich ein paar: „Du hast mir so leid getan! Alle sind auf dich losgegangen.“ Ich sagte natürlich, dass ich niemandem leid tun brauche und kein Opfer bin. Ich fand es über Strecken nur langweilig für mich, weil keine Gespräche entstanden sind. Aber gut, das ist ja nicht so schlimm.

OK, das war die Show. Das Leben nach der Show sah ganz anders aus. Wir gingen ins ORF Café, das war ja ausgemacht. Da waren die Leute aus unserer Show, ein paar Leute vom ORF, später kamen Leute aus anderen Shows und auch ein paar normale Publikumsgäste. Und sofort wollten alle mit mir reden! „Reiner, setz dich zu uns!“ Jetzt wollten sie genauer wissen, wer das war, der so einen Blödsinn gesagt hatte. Aus meiner Sicht sieht es natürlich so aus, dass sie alle durstig nach Neuem Bewusstsein waren. Sehr bald wollten sie dann alle die Adresse meiner Plattform. Ich führte die meisten und längsten Gespräche. Es gab wieder einen Tenor: Auf der Bühne war ich unsympathisch, aber jetzt war ich sehr sympathisch. Meine Kritiker sagten, wie wichtig es war, dass ich da war. Warum auch immer.

Die Stunden vergingen. Manche Leute gingen, andere kamen dazu. Eine Frau aus einer anderen Show, die mich am Bildschirm gesehen hatte, wollte nicht an den Tisch mit ihren „Kollegen“. Sie wollte zu mir, denn es ging ihr nicht gut nach der Show, es kamen alte, unangenehme Erinnerungen hoch. Intuitiv wusste sie, dass sie bei mir Verständnis finden würde. Zwei Frauen aus dem Publikum kamen zu uns. Die eine sagte mir, dass sie mich in der Show unsympathisch fand. Dennoch wollte sie an meinen Tisch. Und zwar nicht, um mich zu kritisieren. Im Gespräch sagten dann einige Frauen: „Die Bereicherung hat mir schon gefallen. Das wünsche ich mir, dass ein Mann zu mir sagt, ich sei eine Bereicherung für ihn.“

Wolfgang, ein geladener Gast im Publikum unserer Show, fand vieles von dem, was ich nach der Show sagte, sehr zutreffend. Doch nach einer Weile sagte er: „Alles toll. Nur das mit dem vollständig ist Unsinn. Ich kann gar nicht vollständig sein, denn wenn ich vollständig wäre, wäre ich Gott!“ Ich musste schmunzeln und dachte mir: ‚Ja, da bist du auf dem richtigen Weg.’

Eine Frau, die einen Mann heiratete, den sie nur aus Briefen kannte, und den sie vor der Hochzeit noch nicht einmal geküsst hatte, war der Star der Show. Eine ungewöhnliche Geschichte, noch dazu lustig erzählt. Sie war auch 52 Jahre verheiratet. Sie ist 86 und sehr lebendig. Wir unterhielten uns nur wenig nach der Show, doch einmal sagte ich im Gespräch: „Du, ich finde das toll! Wenn das für dich der passende Weg war, wunderbar!“ Sie sagte gleich: „Ach nein, natürlich war nicht immer alles gut.“ Das war die abgeschwächte Version. Am nächsten Tag beim Frühstück sagte sie: „Ich habe in meinem ganzen Leben immer nur das gemacht, was andere für richtig hielten. Die jungen Menschen heute tun das nicht mehr, die machen, was sie für richtig halten. Und recht haben sie! Das ist viel besser.“ Tja, vor der Kamera sah das etwas anders aus.

Da fällt mir noch eine markante Sache der Show ein. Die anderen sagten mir, dass meine Meinung und meine Handlungsweise schlecht und falsch wären. Und sie sagten mir, was ich tun sollte. Ich sagte niemandem, dass sein Leben schlecht und falsch wäre, und ich sagte niemandem, was er tun sollte. Ob dieser feine Unterschied zwischen altem und Neuem Bewusstsein außer mir noch jemandem aufgefallen ist?

Gut, das waren meine inhaltlichen Erfahrungen mit der Show, mein Meeting mit dem großen, alten Bewusstsein. Ich hatte wirklich Spaß dabei, diese Bewusstseinsspiele sind amüsant. :-) Ich möchte aber auch meine Erfahrungen mit der Produktion und mit dem ORF erzählen. Die waren überraschend.

Ich wurde also von Mitra, der Redakteurin, aufgespürt und eingeladen. Alles ziemlich kurzfristig. Aufgrund ihres ersten Mails dachte ich mir schon, dass Mitra sehr nett sein würde. Und das war sie. Wir telefonierten dann täglich. Sie wollte einfach herausfinden, ob ich zu meiner Meinung stand und sie auch vor der Kamera verkünden würde. Wohl gemerkt: Sie hat mir in keinem Moment gesagt, was ich sagen oder nicht sagen sollte! Sie wollte nur herausfinden, was ich zu dem Thema zu sagen hatte und ob ich dazu stand. Darüber hinaus gab es eine Menge Organisatorisches zu besprechen.

Mitra pflegt mit den Menschen einen sehr respektvollen und höflichen Umgang. Ich hatte ja Freundlichkeit erwartet, aber ehrlich gesagt hatte ich mir Medienmacher weniger authentisch vorgestellt. Bei Mitra habe ich keine penetrante Maske gesehen, vielleicht sogar überhaupt keine Maske. Das war dann doch überraschend. Genau das möchte sie auch von den Gästen. „Sei der, der du bist“, ist das Motto für die Gäste. Kein Verstellen. Das gilt für alles. Das Auftreten, die Meinung, die Sprache, die Kleidung … Es gibt keinerlei Vorschriften. Stell dir das vor! Keine Vorschriften für eine erfolgreiche Fernsehsendung! Mir wurde auch gesagt, dass ich jedermann, Barbara inklusive, sofort unterbrechen sollte, wenn ich etwas zu sagen hätte. Und wenn Barbara etwas über mich sagen würde, was nicht stimmte, sollte ich sie korrigieren. Ich sollte das nur in einem angemessen Ton tun, das war alles.

Am Montagabend traf ich Mitra und ihre Kollegin. Persönliches Kennenlernen und noch ein Check, ob ich denn meine Meinung auf vertrete. Die Kollegin war genauso wie Mitra.

Am Dienstag war die Show. Treffen um 15h, Sendungsbeginn um 17h. Danach gemütliches Beisammensein im Café. Ich hatte beim ORF gut und gerne mit zehn verschiedenen Leuten zu tun. Was soll ich sagen? Ich war König! An diesem Tag drehte sich alles nur um mich. Ausnahmslos alle ORF-Mitarbeiter waren genauso respektvoll und höflich wie Mitra. Nicht alle ganz so authentisch, aber immerhin. Die anderen Gäste erzählten mir natürlich dasselbe, auch sie waren Könige. Das ging vom Empfang am Haupteingang bis zur Abrechnung nach der Sendung. Faszinierend! Nur freundliche Gesichter, Entgegenkommen überall. Wenn ich etwas wünschte, brauchte ich nicht einmal mit dem Finger schnippen, weil ich dauernd gefragt wurde, ob ich vielleicht dieses oder jenes wollte. Ich brauchte nur ja oder nein sagen.

Dann die Machart der Show. Keine Absprachen, keine Vorgaben, keine Anweisungen. Nix war fix. Dafür war Spontanität gefragt. Ach ja, eine Anweisung gab es. Wir durften im Gästezimmer nicht über das Thema der Show sprechen. Damit wir ja nicht die Meinung der anderen kennen lernten, damit bloß alles spontan auf der Bühne entstand. Ich war einfach beeindruckt! Nach der Show habe ich mit einer Frau gesprochen, die schon bei einem anderen Sender bei einer anderen Show dabei war. Und sie sagte, dort ging es anders zu. Viel weniger Respekt, dafür viel mehr Vorgaben und Absprachen. Also von den Rahmenbedingungen der Show her betrachtet war ich in der richtigen Produktion. Die ganze Sache gefiel mir außerordentlich gut! :-)

Und dann noch dieses Schnuppern im Fernsehgeschäft, dieses neue Spiel. „Reiner in die Maske bitte!“ „Ein Mikrofon für Reiner!“ „Reiner bitte zur letzten Vorbesprechung!“ „Reiner zur Tonprobe!“ „Reiner ins Studio!“ Einfach nett, einfach lustig, ein neues Spiel, das ich noch nicht kenne, und das ich durchaus gerne noch ein paar Mal spielen möchte. :-)